Mietpreisbremse: Landesregierung legt Geltungsbereich in Baden-Württemberg fest
Stellungnahme des Mieterbunds Baden-Württemberg

(22.04.2020) Die Attraktivität des Landes und der wachsende Wohnungsmangel haben zu einem hohen Mietpreisniveau in Baden-Württemberg geführt. Nach dem F+B Mietspiegelindex 2019 liegt die Hälfte der Städte mit dem höchsten Mietenniveau in Baden-Württemberg. Die Dynamik der Mietpreisentwicklung ist besorgniserregend. Nach dem F+B Wohnindex 4/2019 liegen 22 der 50 deutschen Städte mit den höchsten Marktmieten in Baden-Württemberg. Aus der Begründung des vorliegenden Entwurfes der Mietpreisbegrenzungsverordnung BW wird ersichtlich, dass die Marktmieten in Baden-Württemberg gegenüber dem Bundesdurchschnitt mehr als doppelt so stark ansteigen.
Seit dem Urteil des Amtsgerichtes Stuttgart vom 18. Oktober 2018, das die Mietbegrenzungs-verordnung für unwirksam erklärt hatte, entwickeln sich die Marktmieten völlig ungebremst. Die stark ansteigenden Marktmieten fließen in die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein und bewirken beträchtliche Mietsteigerungen im Bestand. Für immer mehr Mieterhaushalte entwickeln sich die Wohnkosten zu einem Armutsrisiko.
Durch Corona-Krise gewinnt die Stabilisierung der Mietpreise zusätzliche Bedeutung. Die Corona-Pandemie bedeutet für viele Mieterhaushalte Einkommensverluste, manche verlieren sogar ihr gesamtes Einkommen. Die Pflicht zur Mietzahlung bleibt jedoch bestehen. Haushalte stehen deshalb vor einer kaum überwindbaren existenzbedrohenden Herausforderung. Die Corona-Pandemie macht es wohnungssuchenden Mietern zur Zeit zudem noch schwerer eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Das F+B-Institut hat die Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten in Baden-Württemberg nach nachprüfbaren wissenschaftlichen Kriterien plausibel ermittelt. Die fünf Indikatoren, die das F+B Institut zur Identifizierung angespannter Wohnungsmärkte heranzieht, entsprechen den vier Kriterien die der Bundesgesetzgeber in § 556d BGB beispielhaft für die Bestimmung angespannter Wohnungsmärkte aufführt. Das Gutachten stellt somit eine Untersuchung aller baden-württembergischen Wohnungsmärkte nach einheitlichen Gesichtspunkten dar.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Erweiterung der Gebietskulisse ausgeschlossen ist. In der Begründung der Verordnung wird zu Recht auf die Begründung des Bundesgesetzgebers zu § 556d BGB hingewiesen, wonach die Kriterien zur Bestimmung eines angespannten Wohnungsmarktes keine starren Vorgaben darstellen. Letztlich muss „aus der Gesamtschau unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten“ entschieden werden.
Die Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten macht es erforderlich, dass die grundsätzlich richtige Regelung, fünf gewählte Indikatoren gleich zu gewichten, weil erst im Zusammenspiel die Beurteilung der örtlichen Wohnungsmärkte ermöglicht wird, nicht als starre Vorgabe gelten darf. Es müssen stets die individuellen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Ein Beispiel für die Notwendigkeit einer „individuellen Prüfung“ stellt aus unserer Sicht die Woh-nungsmarktsituation in Ravensburg dar. Es verwundert, dass die Stadt Ravensburg, die im F+B Mietspiegelindex 2019 auf Platz 26 der 30 deutschen Städte mit dem höchsten Mietenni-veau liegt, nicht in die Mietbegrenzungsverordnung BW aufgenommen wurde. Der Grund liegt darin, dass in Ravensburg rechnerisch ein ausgeglichener Wohnungsmarkt besteht. Der Woh-nungsversorgungsgrad ist zweifellos ein wichtiger Indikator für die Wohnungsmarktsituation. Er berücksichtigt allerdings nicht, ob tatsächlich in allen Wohnungsmarktsegmenten ein ausgeglichenes Verhältnis von Wohnungsangebot und Wohnungsnachfrage besteht. Das hohe Mietniveau lässt vermuten, dass ein Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen, in anderen Wohnungsmarktbereichen jedoch ein ausreichendes Angebot in Ravensburg besteht. Deshalb müsste in diesem Fall geprüft werden, ob der Indikator „Wohnungsversorgungsgrad“ tatsächlich gleich gewichtet werden kann.
Die Aufnahme weiterer Städte in die Mietbegrenzungsverordnung BW muss möglich sein, wenn die Aufnahme mit belastbaren Fakten begründet wird. Die Gleichbehandlung der Einwohner in allen Städten und Gemeinden Baden-Württembergs erfordert bei einem nachweislich angespannten Wohnungsmarkt die Aufnahme in die Gebietskulisse der Mietpreisbremse.
Es ist zu begrüßen, dass die Verordnung auf der Gemeindeebene aufbaut. Dies ist nicht nur deshalb richtig, weil die Gemeindeverteilung in Baden-Württemberg äußerst kleinteilig ist, sondern auch, weil auf Grund der räumlichen Nähe und der infrastrukturellen Verflechtung, Teilwohnungsmärkte in einer Gemeinde nicht abgegrenzt werden können. In den Ballungsräumen des Landes, insbesondere in der Region Stuttgart und der Region Rhein-Neckar, stimmt außerdem die räumliche Begrenzung der lokalen Wohnungsmärkte nicht mit den Gemeindegrenzen überein. Deshalb endet die Anspannung der Wohnungsmärkte nicht an den Stadtgrenzen der Kernstädte. Dies ist ein weiterer Grund, warum es möglich sein muss, weitere Städte und Gemeinden in die Verordnung aufzunehmen. Eine Segmentierung der lokalen Wohnungsmärkte würde überdies der Absicht des Gesetzgebers, nämlich Mieterverdrängung zu verhindern und stabile Sozialstrukturen zu erhalten, entgegenwirken.
Entscheidend für die Anwendung der Mietpreisbegrenzungsverordnung ist allein, ob ein angespannter Wohnungsmarkt vorliegt. Es ist daher richtig, dass die Aufnahme einer Stadt oder Gemeinde in die Gebietskulisse nicht vom Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels abhängig gemacht wurde. Zweifellos erleichtert das Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Es ist jedoch auch in Gemeinden ohne Mietspiegel unter zumutbaren Bedingungen möglich, die ortsübliche Vergleichsmiete festzustellen. Dies stellte auch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 18. Juli 2019 fest. Es ist wünschenswert, dass durch die Landesförderung der Erstellung von Kooperationsmietspiegeln die Verbreitung qualifizierter Mietspiegel im Land erweitert wird.
Die Begrenzung des Mietenanstiegs ist dringend notwendig. Der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg begrüßt und befürwortet den vorliegenden Entwurf der Mietbe-grenzungsverordnung BW. Es muss die Möglichkeit der Aufnahme weiterer Städte und Gemeinden in die Verordnung bestehen. Der Verordnungstext sollte daher ergänzt werden: Städte und Gemeinden haben das Recht einen begründeten Antrag auf Aufnahme in die Gebietskulisse der Mietbegrenzungsverordnung BW zu stellen, über den die Landesregierung in einer angemessenen Frist entscheidet.
Das F+B Gutachten, das die Grundlage des Verordnungsentwurfes bildet, liegt seit Oktober 2019 vor und wurde in der Wohnraum-Allianz intensiv diskutiert. Die zuständige Arbeitsgruppe Miet- und Wohnungsrecht empfahl am 12. Dezember 2019 das F+B-Gutachten als Grundlage für die neue Gebietskulisse nach § 556d BGB im Rahmen des Neuerlasses der Landesver-ordnung zur Mietpreisbremse zugrunde zu legen. Der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg hält es für dringend erforderlich, dass nun ohne weitere Verzögerungen die Mietpreisbe-grenzungsverordnung erlassen wird, damit die Mieterinnen und Mieter in Baden-Württemberg vor überhöhten Mietpreisforderungen geschützt werden können.
Das Bundesgesetz zur Mietpreisbremse und die Landesverordnung sind auf fünf Jahre begrenzt. Angesichts viel zu geringer Neubauzahlen wird sich der Wohnungsmarkt auch in den nächsten Jahren kaum wirksam entspannen. Zudem erfasst die Landesverordnung, wie dargelegt, nicht alle Städte mit Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Zum Schutz der Mieter vor Marktübertreibungen und Segregation ist es deshalb dringend geboten, Mietpreisüberhöhung mittels § 5 Wirtschaftsstrafgesetz wieder sanktionieren zu können. Nur das Wirtschaftsstrafgesetz kann auf Dauer und in allen Städten mit zu geringem Wohnungsangebot Mieter vor Wohnungsspekulanten schützen. Auch die Wohnungswirtschaft, vertreten durch den VBW, unterstützt eine Gesetzesreform. Ein entsprechende Gesetzesinitiative des Landes Bayern wurde im Bundesrat bereits beschlossen. Der Mieterbund bittet die Landesregierung dringend, diese Gesetzesinitiative zu unterstützen.
Stellungnahme vom 22.4.2020 zum Download