Verzweifelte Wohnungssuchende, mit Wohnkosten finanziell überbelastete Mieter und Wohnungsunternehmen, die nicht mehr bauen können; sie alle haben von der durch Landesbauministerin Razavi verkündeten angeblichen „Trendwende“ im geförderten Wohnungsbau noch nichts gesehen. So kommentiert der Deutsche Mieterbund Baden-Württemberg die wohnungspolitische Zwischenbilanz der Landesregierung. Tatsächlich hat in den Jahren 2022 und 2023 der Wohnungsfehlbestand in Baden-Württemberg insbesondere durch hohe Zuzüge um weitere 70.000 Wohnungen zugenommen. Für ca. 85.000 zusätzliche Haushalte in Baden-Württemberg wurden nur 35.000 zusätzliche Wohnungen gebaut. Auch 2023 standen einem Anstieg um voraussichtlich 50.000 Haushalte nur ca. 30.000 Fertigstellungen im Wohnungsbau gegenüber.
Tropfen auf den heißen Stein
Laut Deutschem Mieterbund ist es zwar richtig, dass die Mittel für die Wohnbauförderung in den letzten Jahren deutlich angehoben wurden, doch auch 2.600 neue Sozialbindungen im Jahr 2023 seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein der wachsenden Wohnungsnot, zumal es gleichzeitig noch 800 Abgänge durch Ablauf der Sozialbindungen gibt. Zudem ist in der von Ministerin Razavi genannten Zahl von 2.600 entstandenen Sozialwohnungen eine bislang nicht genannte Anzahl von angekauften Belegungsbindungen enthalten. Solche Wohnungen sind aber in der Regel bereits vermietet und stehen deshalb nicht zum Abbau langer Wartelisten der Wohnungsämter zur Verfügung.
"100 Jahre bis zum Schließen der Sozialwohnungslücke"
Rolf Gaßmann, Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbunds, ermahnt die Landesregierung nach den Besorgnis erregenden Ergebnissen der Pestel-Studie zum Handeln. Laut der Studie hat Baden-Württemberg mit über 200.000 fehlenden Sozialwohnungen den größten Mangel unter allen Bundesländern. „Selbst wenn weiterhin 1.800 Sozialwohnungen pro Jahr zusätzlich entstehen, bräuchte es über 100 Jahre zum Abbau dieses riesigen Fehlbestands. Die Landesregierung wird die Wohnungssuchenden kaum damit vertrösten können, dass ihre Ur-Ur-Enkel in 100 Jahren eine bezahlbare Sozialwohnung finden können“, merkt Gaßmann ironisch an.
Land muss Bundesmittel für sozialen Wohnungsbau in gleicher Höhe aufstocken
Statt sich mit einer angeblichen Trendwende bei Sozialwohnungen zu feiern, sollte die Ministerin die Realitäten bei der Wohnbauförderung zur Kenntnis nehmen: Wegen mangelnder finanzieller Ausstattung war das Landeswohnungsprogramm von 2022 schon im September des gleichen Jahres ausgeschöpft, das Programm von 2023 bereits im Mai. Wohnungsunternehmen, Bauwirtschaft und Baugewerkschaft, Architektenverbände und Deutscher Mieterbund schlagen seit Monaten Alarm, weil sie befürchten, dass das laufende Programm für 2024 bereits in wenigen Wochen ausgeschöpft sein wird und bauwillige Unternehmen dann wieder auf die nächsten Jahre verwiesen werden. Alle Fachverbände fordern deshalb, dass Baden-Württemberg mit dem höchsten Nachholbedarf an Sozialwohnungen nicht weiterhin die Finanzierung der Wohnbauförderung zu 67 % dem Bund überlässt, sondern den geförderten Wohnungsbau mindestens zur Hälfte mitfinanziert. Dann stünden statt 550 Mio. Euro mindestens 720 Mio. Euro zur Verfügung. Der Mieterbund verweist auf unser Nachbarland Bayern, wo mit deutlich höherem Mitteleinsatz seit Jahren doppelt so viele Sozialwohnungen gebaut werden wie in Baden-Württemberg und der Bestand an Sozialwohnungen nahezu dreimal so groß ist.
Arbeitsplätze in Gefahr
„Angesichts der dramatischen Einbrüche im frei finanzierten Wohnungsbau muss schnell dem Verlust von Arbeitsplätzen im Wohnungsbau entgegengewirkt werden“, fordert Gaßmann. Denn Facharbeitskräfte im Bau, die jetzt entlassen werden, kommen nicht zurück und werden zukünftig fehlen. Auch der Landesregierung müsse doch bekannt sein, dass der Staat bei konjunkturellen Einbrüchen antizyklisch zu handeln habe und nicht durch mangelnde Wohnbauförderung die Auftragsdelle im Wohnungsbau noch verstärken dürfe. „Wenn Ministerin Razavi erklärt, dass der soziale Wohnungsbau den gesamten Wohnungsbedarf nur zum geringen Teil decken könne, muss sie sich gerade jetzt für den Erhalt der Baukapazitäten und Arbeitsplätze für den frei finanzierten Wohnungsbau einsetzen, damit dieser bei sinkenden Zinsen wieder anspringen kann“, fordert der Mieterbund.